Google, Amazon, Apple und Co haben sie schon längst, die öffentliche Hand arbeitet mit Hochdruck dran: Digitale Identitäten sind der Schlüssel zum persönlichen Angebot, optimalerweise bieten sie auch höchste Sicherheit. Selbstbestimmte Identitäten (SSI) können der Schlüssel zu einem ganz neuen Reiseerlebnis werden. Aber welche Anwendungen eignen sich wirklich für den Tourismus? Ein Überblick.
Komprimiert
Die Defizite des gedruckten Impfpasses kann die Digitalisierung beflügeln. Sie veranschaulicht die Notwendigkeit einer fälschungssicheren digitalen Identifikation, die viel mehr kann als den Impfstatus belegen. Digitale Identitäten dienen als Reisepass, als Ticket und Fahrkarte oder auch als Schlüssel zu einem perfekt abgestimmten Informationsangebot vor und während eine Reise. Google, Amazon und Apple haben das bereits. Der Tourismus braucht mehr. Es fehlt jetzt – wie so häufig – an Schnittstellen.
Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung, als Testimonial in diesem Blogpost? Selbst der Autor ist davon überrascht. Durchaus positiv. Quasi über Nacht und durch die Hintertür hat die CSU-Politikerin das ermöglicht, woran progressive Teile der Tourismuswirtschaft seit Jahren arbeiten: Der voll-digitale Check-In via Smartphone-Wallet in einem Hotel, ohne Ausweiskontrolle, ohne Papier-Meldeschein, optimalerweise auch ohne Vorzeigen einer Kreditkarte.
Das von der Bundesregierung geförderte Projekt „Wallet-ID“ ist ein schönes Beispiel was möglich ist, wenn alle an einem Strang ziehen: Die bis zu 120 Hotels von Steigenberger, Motel One und Lindner, die für eine vorerst wohl überschaubare Anzahl von Firmenreisenden von Bosch, BWI, DB und Lufthansa Prozesse und Technologien einführen, für die die Bundesregierung kurzerhand eine digitale Experimentierklausel im alt-ehrwürdigen Bundesmeldegesetz ermöglicht. Und dann ist da noch die hoheitliche Bundesdruckerei, die im Auftrag der Regierung für die testenden Mitarbeiter digitale Ableger ihrer Personalausweise bereit stellt.
All das ist Schallgeschwindigkeit im Vergleich zu dem jahrelangen Ringen um den digitalen Meldeschein im Hotelgewerbe, der im Projekt Wallet-ID nur eine Nebenrolle spielt. Viel mehr geht es hier um einen internationalen Trend, der für den Tourismus höchste Relevanz hat:
Self-Sovereign Identities werden zu Tourguides und Tickets
Selbstbestimmte Identitäten oder Self-Sovereign Identities (SSI) klingen sperrig, basieren aber auf einer simplen Lösung, die nicht nur Ministerin Bär auf ihrem Handy haben solllte: ein digitaler Nachweis, der von allen Parteien anerkannt ist. Das ist nicht ganz neu. Die im Tourismus am meisten verbreitete Version eines digitalen Wallets ist das E-Ticket etwa der Fluggesellschaften. Wäre da nicht die Ausweispflicht eben in Form eines Papierdokuments, die voll digitale Wallet-ID wäre längst fertig.
Der Charme an SSI ist, dass die Idenditäten dezentral gespeichert sind und stets von ihrem Besitzer zur Verfügung gestellt werden. Die Bundesdruckerei als „Issuer“ der testweisen Wallet-ID scheint eine perfekte Instanz. Dass es auch ohne amtliche Auszeichnung der Person geht, beweisen ID-Giganten wie Google, Apple, Amazon und Facebook, deren Userprofile als „ID“ für die Anmeldung auf anderen Web-Diensten verwendet werden und hier bereits große Glaubwürdigkeit besitzen. Und sie sind auch der Schlüssel zu personalisierten Reiseinformationen, gewissermaßen zu einem digitalen Tourguide.
Auch Google & Co dürfen nichts ohne das Einverständnis der ID-Inhaber tun. Dafür sorgt die Datenschutzgrundverordnung. Wer mit der Speicherung seiner Daten nicht einverstanden ist, wird aber kaum in den Genuß der bestens personalisierten Services von Google & Co kommen. Und genau darum geht es im Tourismus:
Die souveränen Identitäten sind schon da
Nicht jede digitale Identität ist selbstbestimmt. Bei Google & Co ist sie in erster Linie Mittel zum Zweck. Und den hoheitlichen Charakter der amtlichen Identifizierung kann es nur in staatlich begleiteten Konsortien geben. Interessanterweise gibt es davon derzeit gleich drei Projekte allein in Deutschland. Alle haben einen touristischen Bezug, doch keines davon hat wirklich einen touristischen Fokus:
1. Die ID-Wallet. Das schnelle Pilotprojekt kann Dank der Power aus dem Bundeskanzleramt Dinge, die andere Projekte nicht können, beispielsweise die Bundesdruckerei zur Herausgabe hoheitlicher Digitall-ID zu bringen. Und der Hotel-Check-In ist ein sehr greifbarer erster Anwendungsfall.
2. Das Once-Projekt. Das vom BMWi geförderte Projekt ist mit 35 Industrtrie-Partnern deutlich stärker aufgestellt als die Wallet-ID. Tourismus und Mobilität sind relevante Anwendungswelten. Die Once-ID-kommt zum Einsatz als Fahrkarte (z. B. bei der Hessischen Landesbahn), als digitaler Meldeschein oder sogar als Führerschein-Ersatz (in Arbeit). Wie auch bei der Wallet-ID ist hier die Bundesdruckerei als Partner an Bord. Synergien sind (für mich) bislang nicht sichtbar.
3. Der digitale Impfnachweis, das aktuell wohl populärste SSI-Projekt in Deutschland. Schon in wenigen wochen soll der digitale Impfnachweis das Reisen erleichtern, basierend auf Technologien von IBM und dem deutschen Krypto-Spezialisten Ubirch, der sogar eine Blockchain-basierte Technologie für die Identifikation ins Spiel brachte. Vorerst läuft die Identifizierung über eine konventionelle Schlüssel-Technologie von IBM (oder alternativ über den nicht gerade fälschungssicheren gelben Impfpass – ein anderes Thema).
Viele Identitäten, wenig Schnittstellen für den Tourismus
Gleich drei digitale Wege der amtlichen Identifizierung stehen nun allein in Deutschland bereit, um perspektivisch auch die touristische Customer Journey zu personalisieren. Hinzu kommen internationale Arbeitsgruppen, die einen deutlich stärkeren Fokus auf den Reisevertrieb setzen und mit Interesse auf die hoheitlichen Ansätze in Deutschland blicken. Wir von Travel Commerce würden uns wünschen, dass dies besser zusammen wächst.
Eine Wallet-ID kann die Lösung sein, um den kompletten Bedarf von Reisenden von der Inspiration über Buchung und sogar Bezahlung bis hin zum Ticket-Kontrolle und Check-In zu revolutionieren. Dabei geht es nicht allein um die Ausweisfunktion. Eine solche ID ist auch der Schlüssel, um Informationen zu personalisieren – so wie es Google längst macht und wie wir es in diesem Blog vor einigen Jahren beschrieben macht: als Unique User ID für eine selbstbestimmte Verwaltung der eigenen Profile, gewissermaßen als Controlled Open Data. Die Kontrolle über die Daten liegt in diesem Modell dort, wo sie hingehört: beim User, beim Kunden, beim Gast.
Touristische Anwendungen haben leider noch keine Priorität
Bis es soweit ist, wird noch einige Zeit vergehen. Die Impfnachweis-Technologie wird auf bestimmte Zeit damit zu tun haben, Gesundheitsämter und Ärzte an ihr System anzuschließen. Die Beherrschung dieses Flickentechniks ist das primäre Ziel dieses Pandemie-Projekts. Aus den Kreisen der Entwickler ist zu hören, dass alles andere vorerst nachrangig ist. Auch die Anbindung touristischer Anwendungen, wie etwa der Healthpass der Iata, hat in diesem Sommer offenbar keine Priorität.
Das Once-Projekt baut aktuell lokale Leuchtturm-Anwendungen in Hessen und NRW auf. Auch die ID-Wallet ist ein Innovations-Projekt der Bundesregierung. Ob und wann die digitale Identifikation breit geöffnet und für Traveltech-Anwender zur Verfügung steht, bleibt offen. Die politische Debatte hat nicht einmal begonnen.
Es geht nicht nur darum, ob und wann die Bundesdruckerei den Personalausweis millionenfach digitalisiert. Es geht um Schnittstellen zu bestehenden und auch künftigen Midoffice- und CRM-Sytemen, zu den Business Rules und API der Touristik. Und es geht um die richtige Schlüssel-Technologie, die sicher, effizient und optimalerweise mit allen gängigen Mobiltelefonen kompatibel sein sollte. Sie ist in vielen Varianten vorhanden, aber längst nicht flächendeckend etabliert.
Bis das erreicht ist, ist es noch ein langer Weg. Andererseits: Dass Staatsministerin Bär im Mai 2021 zumindest für eine kleine Pilotgruppe ohne Vorankündigung den voll-digitalen Hotel-Check-In ermöglicht, war so vor Kurzem auch nicht absehbar.