ein gemeinsamer Opinion Post von Petra Hedorfer (DZT) und Dirk Rogl
Wir reden viel über den digitalen Wandel. Ein ganz besonderer und spannender Austausch ist der mit Petra Hedorfer, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Zentrale für Tourismus. Was uns eint, ist der Glaube an die Innovationskraft der Technik, aber auch an die unabdingbare Notwendigkeit, den Menschen mitzunehmen. Nicht nur der „User“ ist stets ein Mensch, auch die vielen Tourismus-Profis, die die Technik von morgen mit Content – oder viel besser: mit Leben – füllen. Digitaler Erfolg kommt, wenn wir möglichst alle erreichen und möglichst alle mitnehmen.Aus unserem Dialog ist ein gemeinsamer Opionion Post geworden, den Petra Hedorfer heute auch „from the desk“ der DZT veröffentlicht. Ich freue mich sehr über diesen gemeinsamen Standpunkt, mit dem wir zur Diskussion einladen wollen. Ihr Feedback ist herzlich willkommen.
Dirk Rogl, Geschäftsführer Travel.Commerce.
Schnell, umfassend, persönlich, emotional – der ohnehin üppige Hunger der Reisenden nach digitalen Informationen ist durch Corona noch einmal verstärkt worden. Der Neustart im Tourismus basiert zu großen Teilen auf Technik: Graph-basierte Datenbanken, KI-gesteuerte Applikationen, neue Ansätze in Besucherlenkung und Business Analytics kommen auf uns zu. Die Technik dafür ist erprobt, der Roll-Out läuft. Jetzt gilt es, den Tourismus-Profis, die in ihrer bestens geübten Gastgeber-Rolle vor Ort zuhause sind, den Zugang zu und den Umgang mit den digitalen Ökosystemen zu ebnen. Eine Einladung zum Mitmachen.
Der Restart des Tourismus läuft in vollen Zügen. Es war absehbar, dass die Reiselust der Menschen stärker ist als jedes Corona-Virus. Klar auch, dass der nach-pandemische Reise-Boom zuerst dort stattfindet, wo Ruhe und Sicherheit gewährleistet sind, nicht zuletzt innerhalb Deutschlands.
Für den Incoming-Tourismus bedeutet dies, dass räumliche Nähe die Hemmschwelle zu reisen senkt : zum Beginn der europäischen Hauptreisezeit im Juni lag die Bereitschaft, Auslandsreisen zu unternehmen laut IPK International weltweit bei 70 Prozent, in Europa bei fast 80 Prozent. Deutschland genießt auch weiterhin weltweit ein hohes Ansehen als Wunschdestination. Top Quellmärkte für den laufenden Restart des Deutschland-Incoming sind Anrainerstaaten mit hoher Travel Intention nach Deutschland, wie Polen, Österreich, die Schweiz und die Niederlande.
Dass der Urlaubsort „nicht überlaufen“ ist, ist laut einer aktuellen SINUS-Befragung des Kompetenzzentrums Tourismus des Bundes der wichtigste Urlaubswunsch der Deutschen, gefolgt von Ruhe und Sicherheit. Alles andere scheint Nebensache in diesem Sommer.
Auch im europäischen Vergleich dominiert der Wunsch nach Erholung und Entspannung: Fast ein Viertel wollen laut der Travel Sentiment-Studie der European Travel Commission ETC vom Juni Sun & Beach genießen, Coast & Sea sowie Nature & Outdoors stehen für jeweils rund 15 Prozent der Befragten auf der Bucket List ganz oben, Wellness & Relaxation für knapp zehn Prozent. Aber auch Kultururlaub erhält viele Nennungen: City Breaks sowie Culture & Heritage werden von jeweils elf Prozent favorisiert.
Vor Corona wäre hier wohl der Weg zum „Digital Detoxing“ nicht weit gewesen. Die Seele baumeln lassen, ganz ohne Trubel und auch ohne digitale Endgeräte. Doch Letzteres ist im Sommer 2021 obsolet. Der digitale Gesundheitspass, die Kontaktnachverfolgung via Luca & Co und die Eintritts-Legitimation mit XR-Code sind geübte und unerlässliche Alltagsroutinen für den Gast geworden. Ohne Smartphone ist ein entspannter Urlaub im Sommer 2021 nur schwer möglich. Und: Persönlich relevante Nachrichten in Echtzeit sind laut der SINUS-Befragung für die Reisenden in diesem Jahr von herausragender Bedeutung:
In diesem Kontext ist auch der digitale Impfpass ein Schlüssel für erleichtertes Reisen. Solche intelligenten digitalen Urlaubsbegleiter werden bleiben.
Doch das Rennen um die beliebtesten digitalen Reiseassistenten für die Nach-Corona-Zeit hat gerade erst begonnen. Vor Corona standen die großen Tech-Giganten klar in der Pole-Position mit ihrem Angebot an digitalen Services und personalisierter Ausspielung nicht nur auf kompakten Smartphone-Displays sondern auch in Sprachsystemen und anderen Applikationen der künstlichen Intelligenz.
Alternativen zu Google & Co eine Chance geben
Das Open-Data-Projekt der deutschen Tourismuswirtschaft, das von der DZT koordiniert wird, sorgt nicht nur für offen verfügbare Daten, sondern leistet einen wichtigen Beitrag dazu, dass nicht nur Google die besten Informationen für den Urlaub erhält. Gut strukturierte Datenbanken und exzellenter Content, frei und passgenau abrufbar, sind ein wichtiger Beitrag, um neue intelligente Reisebegleiter zu entwickeln und mit relevanten Daten aufzuwerten.
Diese neue Freiheit der Daten öffnet Chancen für die gesamte Tech-Szene. Neue Geschäftsmodelle können entstehen, Start-ups können sich entfalten – das erweitert den Wettbewerb und gibt ökonomische Impulse.
Der deutschlandweite Knowledge Graph steht in den Startlöchern, mit dem Ziel, über das Reiseland Deutschland so umfassend und nutzwertig zu informieren wie es zuvor nicht möglich war. Millionen von Informationen über Sehenswürdigkeiten, Touren, Termine und touristische Angebote können hier gebündelt werden. Es ist ein ambitioniertes Projekt. Aber tatsächlich ist der Nutzen für Reisende und Tourismuswirtschaft nur so gut, wie die digitalen Anwendungen, die sich dieses mächtigen Datenpools bedienen werden. Mobile Applikationen sind ein wichtiger Teil davon.
Die Personalisierung der Datenflut ist erfolgsentscheidend
Erfolgreich werden die mobilen Dienste sein, wenn die persönliche Relevanz auf ein kleines Smartphone-Display, perspektivisch auch in die kompakte Sprachantwort eines Voice-Assistenten gebündelt werden kann. Die digitale Datenflut des World Wide Web ist schlichtweg zu groß für eine simple Listung aller verfügbaren Informationen. Relevanz ist subjektiv und von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Damit die Personalisierung gelingt, muss die Tourismuswirtschaft nicht nur bei der Bereitstellung von Informationen zusammenrücken. Trotz aller datenschutzrechtlichen Herausforderungen gilt es, die Präferenzen und die Reisepläne des Gastes bestmöglich zu bündeln, soweit er damit einverstanden ist. Digitale Identitäten sind ein hervorragendes Mittel dafür. So genannte Self-Sovereign Identities (SSI) sind kleine Schlüssel, die es dem Gast erlauben, einen tiefen Einblick in seine Präferenzen zu geben. Und zwar eben so tief, wie es eben nötig und geboten ist.
Der digitale Impfpass ist ein gutes Beispiel: Niemand ist verpflichtet, seinen Impfstatus zu teilen. Aber es winken klare Vorzüge am Aufenthaltsort und während der Reise, wenn der Inhaber diese Daten punktuell auf Abruf zur Verfügung stellt.
Weitere Beispiele: Wer via Smartphone seinen Standort preisgibt, erhält die digitalen Angebote vor Ort. Wer seinen Reiseplan hinzufügt, bekommt die bestmögliche Verkehrsverbindung zum nächsten Ziel angezeigt. Wer seine Hobbies und Interessen preisgibt, erfährt mehr über verfügbare Optionen am Aufenthaltsort.
Das heißt: Digitale Identitäten öffnen entlang der Customer Journey mehr Convenience, ermöglichen zusätzlichen Service, Seamless Travel statt Zettelwirtschaft. Ein sorgsamer und verantwortungsbewusster Umgang mit personalisierten Daten kann auf diese Weise zum Qualitätsmerkmal einer Destination werden.
Gastlichkeit bleibt oberstes Gebot
Google kann all das schon heute, eben weil das Unternehmen mehr ist als eine Internet-Suchmaschine. Google versteht seine Nutzer als Individuen, pflegt deren Profile so intensiv wie es die Millionen User zulassen. Die SSI-Technologie kann ein faszinierender Ausgleich dafür sein, eben weil die Freigabe der Daten selbstbestimmt durch den User erfolgt. Er gibt so viel von sich preis, wie es für ihn zum Vorteil ist. Und das an exakt jene Partner, denen er vertraut.
Denn Vertrauen ist ein hohes Gut im Tourismus. Eine gelungene Urlaubsreise besteht ganz wesentlich aus authentischen Begegnungen und herzlichem Service, aus Menschlichkeit und persönlichem Austausch. Destinationen und Tourismusunternehmen verstehen sich und ihre Mitarbeiter als gute Gastgeber, Dienstleister, Hosts. Genau so werden aus Gästen Stammgäste, aus Stammgästen Freunde. Dieses System ist seit Generationen millionenfach bewährt. Und das ist gut so.
Eine Bewährungsprobe für dieses Miteinander haben wir mit dem Beginn der Covid 19-Pandemie erlebt. Binnen weniger Wochen kam der weltweite Tourismus in seiner jahrelangen Rekordfahrt abrupt zum Stillstand. Ein ganz wesentliches Element in der Krisenbewältigung: nicht auf dem Erreichten zu verharren, sondern aktiv Empathie mit den Gästen zu zeigen. Es gilt, die DNA ihrer Sinus-Milieus aufzunehmen, Customer Centricity und marktspezifische Entwicklungen zu analysieren und aktiv auf potenzielle Kunden in der aktuellen Situation zuzugehen. Im engen Schulterschluss mit den Partnern im Deutschlandtourismus und der internationalen Reiseindustrie werden die Folgen der Pandemie im internationalen Wettbewerb der Destinationen analysiert und konsequent durch den fokussierten Einsatz digitaler Möglichkeiten aufgearbeitet. Internationale Studien bestätigen diesen Ansatz.
Während der Lockdown-Phasen des Jahres 2020 konnte Deutschland Marktanteile gewinnen und wurde zur Nummer 1 unter den europäischen Reisezielen. Laut IPK ist Deutschland im Sommer 2021 für die Reisenden weltweit die Destination, in der sie das Risiko einer Infektion am geringsten einschätzen. Und laut der Mc-Kinsey-Studie vom Sommer 2021 kommt Deutschlands Tourismusbranche vergleichsweise gut durch die Krise, wird sich bis 2023 erholen und schneller als die meisten europäischen Märkte das Vorkrisen-Niveau wieder erreichen.
Auch eine Datenbank braucht Gastfreundschaft
Der Tourismus steht in einem digitalen Umbruch von massiver Ausprägung. Die Digitalisierung der Customer Journey von der Inspiration bis zur Nachbereitung der Reise fordert alle touristischen Anbieter, vom globalen Tourismuskonzern bis zum privaten Gästeführer, von der DMO bis hin zum Leistungsträger. Was alle eint, ist das Bemühen um exzellente Kundenbindung und Gästemanagement in möglichst allen Stufen des Reiseprozesses.
Just dafür war im Tourismus stets der Mensch zuständig. Wir glauben, dass es so bleiben wird. Und das ist kein Widerspruch. Nicht nur Tech-Konzerne wie Google, Expedia und Airbnb suchen nach Local Guides und Experts und Super Hosts als exklusive Bereicherung ihres ohnehin üppigen Contents. Jede Datenbank und jede Mobile App ist so gut, wie die Menschen, die sie gestalten. Und jeder digitale Reisetipp ist so gut, wie die menschliche Begegnung, zu der er vor Ort führt.
Denn das ist ganz im Sinne einer konsequenten Orientierung am Zukunftsstandard Nachhaltigkeit: Nicht nur die Balance aus Ökonomie und Ökologie qualifiziert den Tourismusstandort Deutschland zur Top-Destination im internationalen Wettbewerb. Ebenso wichtig ist die soziale Verantwortung, den sozialen Impetus der Menschen in den Destinationen in Balance und Einklang zu bringen – ob als Gäste oder als hier lebende Menschen oder als Akteure im Tourismus.
Die Digitalisierung des Tourismus kann nicht funktionieren ohne engagierte Menschen, die sie gestalten und Tourismus-Profis, die die digitale Kommunikation mit dem Gast täglich leben und in persönlicher Begegnung umsetzen. Auch wenn digitale Reise-Apps unweigerlich an Relevanz gewinnen, so geht es im Tourismus um Angebote von Menschen für Menschen. Lassen wir uns nicht entmutigen von digitalen Buzzwords, von Codes, Bits und Bytes. Nutzen wir die Angebote und partizipieren von ihnen. Denn der wertvollste Faktor im digitalen Wandel ist der Mensch. Die Möglichkeiten zum Mitmachen sind so vielfältig wie der Tourismus.
Ganz im Sinne dieses Mediums freuen wir uns auf Ihre Meinung zu diesem Thema und den Dialog mit Ihnen.