Künstliche Intelligenz verlockt zum Faulsein. Sie steigert die Effizienz und damit die Marge. Aber vermutlich nur kurzfristig. Vor allem ist KI eine großartige Chance, um sich Alleinstellungsmerkmale zu erarbeiten und die Konkurrenz abzuhängen. Das gilt im besonderen Maße für die Touristik und den Reisevertrieb, die endlich die Chance hat, das überdimensionele touristische Angebot personalisiert zu filtern. Wer jetzt Raum für Innovationen lässt, erarbeitet sich mit KI einen dauerhaften Vorsprung.
Komprimiert
Künstliche Intelligenz ist in Zukunft alternativlos, wenn es um Einsparungen und Effizienzgewinne geht. Wer sich ausschließlich darauf fokussiert, wird aber ins Hintertreffen geraten. Denn KI bietet die Chance, Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln. Eine kluge Dateninfrastruktur ist die Basis für personalisierte Beratung und exzellente Conversion Rates. Jetzt geht es darum, die Chancen zu nutzen.
Wenn man aktuell über Anwendungsszenarien von KI in der Touristik liest, müsste man denken, die Faulheit greift um sich. Bei den am häufigsten genannten Beispielen heißt es, künstliche Intelligenz nimmt uns Arbeit ab, optimiert Prozesse und reduziert Kosten. Chatbots ersetzen die Callcenter. KI-Assistenten ersetzen den Expedienten. Copilots ersetzen Developer. 24/7 werden Fragen beantwortet und Buchungen bearbeitet.
Man kann jetzt plötzlich alles von der KI machen lassen. Vielleicht genauso gut und in Zukunft ganz bestimmt sogar besser. Ohne Frage ist das so. Aber ganz ehrlich: Ist das nicht schrecklich langweilig? Reine Effizienzsteigerungsprogramme waren schon in der Vergangenheit in jedem Unternehmen auch ohne KI eine Qual. Das wird mit künstlicher Intelligenz kein bisschen spannender. Dass eine Künstliche Intelligenz bei Zuführung der richtigen strukturierten Daten in Zukunft einen Großteil der Arbeiten besser und schneller machen wird, steht außer Frage. Unternehmen können durch solche KI-basierten automatisierten Lösungen ganz erheblich sparen.
Der Finanzdienstleister Klarna meldet im August 2024:
Die KI zur Bearbeitung von Kundenanfragen erledige die Aufgaben von 700 menschlichen Beschäftigten.. Gleichzeitig reduziere sich die durchschnittliche Bearbeitungszeit von elf auf zwei Minuten. Im Gegenzug sei der Umsatz pro Beschäftigten in den vergangenen zwölf Monaten um 73 Prozent auf umgerechnet 615.000 Euro gestiegen.„Vor etwa zwölf Monaten hatten wir rund 5000 Stellen, jetzt sind es nur noch etwa 3800. Längerfristig werde die Belegschaft voraussichtlich auf 2000 Personen schrumpfen. Auf absehbare Zeit würden allenfalls Ingenieure angeworben.“ sagte Firmenchef Sebastian Siemiatkowski in der Wirtschaftswoche.
Ähnliche Statements werden wir in Zukunft auch von Reiseveranstaltern, Airlines, Incoming-Agenturen und anderen touristischen Playern sehen. Oder sie werden früher oder später von der Bildfläche verschwinden, weil sie die Künstliche Intelligenz., wie in den 90er-Jahren einige das „Internet – nicht ernstgenommen haben. So weit so gut, aber ich bleibe dabei: So richtig sexy sind Einsparungen und Effizienzsteigerungen nicht.
Was jedoch schon immer sexy war und gerade durch die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz noch spannender wird, ist Innovation. Es ist essenziell, dass das durch KI-Automatisierungen eingesparte Kapital (monetär und human) direkt in KI-basierte Innovationen investiert wird. Dann wird es spannend, da sich Unternehmen durch diese Lösungen von ihren Mitbewerbern echt differenzieren können.
Reisevertrieb zum Beispiel funktioniert, entgegen anderer Aussagen, weiterhin mit der Gießkanne. Es ist 2024 und die breite Mehrheit aller potenziellen Kunden bekommen weiterhin den identischen Newsletter. Oder nehmen Veranstalterkataloge mit der Schubkarre aus dem Reisebüro mit. Buchungsmaschinen zeigen jedem Kunden dieselben zig Milliarden verschiedener Reisekombinationen an. INFX-Daten werden weiterhin massenhaft nachts durch die Gegend geschickt. EDF und OTDS sind auch nicht besser, da nicht personalisiert.
Dass eine zu hohe Quantität von Angeboten einen negativen Einfluss auf die Conversion hat, ist spätestens seit dem Jahr 2000 bekannt:
„Bei einer Studie der US-Forscher Mark Lepper und Sheena Iyengar aus dem Jahr 2000 bekamen in einem kalifornischen Delikatessladen die Kunden zunächst sechs Marmeladen-Sorten zur Auswahl. 40 Prozent der Kunden probierten – und 12 Prozent kauften am Ende ein Marmeladenglas. Beim zweiten Experiment standen 24 Marmeladensorten auf den Probiertisch – eine zu große Auswahl! Zwar probierten jetzt 60 Prozent der Ladenbesucher die Testhäppchen, aber weniger als 2 Prozent kauften die Marmelade. Die Vielfalt hatte zwar die Neugier geweckt, aber die Kunden zugleich entscheidungsunfähig gemacht.“
Was sagt uns das? Zukünftige KI-basierte Vertriebslösungen werden aus den Milliarden von verschiedenen Angebotskombinationen eine Handvoll auswählen und dem Kunden vorschlagen. Und es wird passen!
Was ist dazu nötig? Jeder Kunde (ja, auch Du) wird schon sehr bald seine eigene digitale Identität pflegen. Digitale Identitäten und Self Sovereign Identities (SSI) sind bereits seit vielen Jahren Thema, bekommt aber durch die anstehenden KI-Vertriebslösungen nochmal einen zusätzlichen Schub:
„By 2035, say experts, digital wallets will be ubiquitous, search and shopping features will be personalized, bookings will be linked to a traveler’s digital travel credential …”
Wenn ein Kunde also zukünftig ein Reiseangebot bekommen möchte, stellt er zuerst die relevanten Teile seiner digitalen Identität zur Verfügung. Die digitale Identität ist der Schlüssel für tiefere Informationen, die die Urlauber gern teilen, wenn sie dafür eine bessere Beratung bekommen. Dazu gehören die komplette Reisehistorie, Vorlieben, aktuelle Lebensumstände und die familiäre Situation. Aber auch sensible Daten wie die die Einkommensverhältnisse, eine Auswertung der letzten Konversationen und einen Blick in den Urlaubskalender helfen bei der Reiseplanung. KI kann auch diese Datenmengen gewinnbringend analysieren.
Nur noch die jeweils beste Marmelade im Regal
Man stelle sich nun einfach nochmal 100, oder 200, oder 500 weitere Informationen und Datenpunkte vor, die den Kunden und seine Vorlieben beschreiben. Ich glaube jeder von uns kann nun erahnen, dass eine touristische Vertriebs-KI jedem Kunden dann personalisiert, seinen „eigenen Katalog“, seinen „eigenen Newsletter“ und seine „eigene Buchungsmaschine“ zur Verfügung stellen wird. Ein (X-)Veranstalter wird in Zukunft mit seiner KI pro Kunde eine Handvoll absolut passender Angebote berechnen. Nicht mehr und nicht weniger.
Oder ganz einfach: Wir bekommen endlich unsere sechs Marmeladen im Regal zurück.Kein Kunde wird die Vorschläge der KI in Frage stellen, alle werden sie als richtig akzeptieren. Die Conversion wird gigantisch sein. Eine schöne neue Welt? Oder eine Dystopie, in der eine KI entscheidet, wie und wohin der Kunde reist? Was denkt ihr?