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Kommunikation statt Konfrontation

Und es war Sommer: Die Tourismusindustrie steht vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte. Jeder weiß: Viele Unternehmen stehen vor dem Kollaps. Alle ahnen: Sicherheit ist relativ. Kaum jemand sieht: Millionen von Touristikern in Deutschland und in aller Welt arbeiten mit herausragender Leidenschaft und Erfolg für optimale und sichere Urlaubsfreuden. Reden wir endlich drüber.

Zusammengefasst
Der Lockdown ist weitgehend vorbei. Deutschland ist in einer Phase der Öffnung und Erholung. Die Tourismuswirtschaft ist eingeladen, sich daran lautstark zu beteiligen. Das tun Leistungsträger, Destinationen, Veranstalter und Mittler mit vielen guten Taten. Nur leider auch aus Kundensicht mit verzerrten Botschaften. Liquidität wird vorerst ein begrenztes Gut bleiben. Kommunikation und Transparenz können die Not lindern, nachhaltig und kostenfrei.

Wie geht es Ihnen aktuell, liebe Touristiker? Ich erwarte keine persönliche Antwort. Denn erstens bin ich ein Teil von Ihnen. Und zweitens lese ich leider die Nachrichten, die auch unsere Kunden lesen. Sie lesen an diesem Wochenende unter anderem Folgendes:

  • Wir haben den ersten prominenten Corona-Fall an der deutschen Küste (was zu erwarten war).
  • Die Reiseveranstalter dürfen Gutscheine statt Geld anbieten (was an sich keine News ist)
  • Und trotz nun staatlicher Absicherung dieser Gutscheine, so die allgemeine Stimmungslage, erscheinen vielen Touristikern die staatlichen Hilfsmaßnahmen für die Tourismuswirtschaft als zu gering. (Ich erspare mir die vielfältig mögliche Verlinkung…)

Keine Frage: Es kann Jahre dauern, bis Teile der Tourismuswirtschaft auf ihre alten Umsatzniveaus oder hilfsweise auf ein befriedigendes „new normal“ kommen. Die öffentlich geteilten zum Teil radikalen Sparpläne von Lufthansa und anderen Airlines werden häufig stellvertretend gesehen für die Erholungsaussichten und die Strategie der gesamten Reiseindustrie. Auch das hat kommunikative Risiken.

Tatsächlich sind vermutlich alle relevanten Untersuchungen (beispielsweise die Recovery-Checks des Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes oder die druckfrische Deutschland-Studie von Phocuswright) eher Momentaufnahmen, die keinen Anspruch auf dauerhafte Gültigkeit haben. Als einer der Mitautoren von Werken wie diesen ist mir wichtig: Auch ich weiß nicht abschließend, wann das Geschäft wieder rund läuft. Ich weiß nur, dass es länger dauert. Ich ahne, dass das Leid innerhalb der Tourismuswirtschaft ungleich verteilt sein wird. Das Gute aber: Jeder von uns hat es in der Hand, dass die Dinge besser werden als prognostiziert.

Vieles davon macht Angst. Leider überträgt sich just diese Angst auf den potentiellen Urlauber, der in der vermeintlich schönsten Zeit des Jahres primär das tun möchte, wie in den Jahren zuvor: Abschalten und sorgenarme Erholung finden. Unsicherheit ist dabei kontraproduktiv. Und wir verbreiten viel zu viel Unsicherheit.

Jeder von uns ist eingeladen, die Dinge besser zu machen. Zwei Ziele sind mir im besonderen Maße wichtig:

1. Transparenz und Vertrauen

Vertrauen entsteht über Transparenz. Dazu gehört, auch die eigene Unsicherheit einzugestehen. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit im Reisesommer 2020. Aber es gibt Informationssysteme, die weiter ausgebaut werden müssen, von der regionalen Strandampel in der stark frequentierten Lübecker Bucht bis hin zur pan-europäischen ReOpen-Datenbank der Europäischen Union, die ausbaufähig ist.

Keines dieser Systeme ist perfekt und weitere Systeme werden folgen, wie etwa die bemerkenswerte Covid-Travel-Alliance von Trivago, Booking.com und deutschen Marktführern wie Eurowings und Flixbus. Auch der Autor dieses Textes arbeitet aktuell an Lösungen. Keine Lösung hat Anspruch auf Vollständigkeit und Perfektion. Kollaboration ist angesagt. Open Data, wie es im Deutschland-Tourismus ohnehin heiß diskutiert wird, macht mehr Sinn denn je.

Die Strandampel, die bemerkenswerter ein paar hundert Meter nördlich davon anfängt, wo nun der angeblich erste touristische Corona-Fall in Deutschland gemeldet wurde (nämlich nördlich der vielen fließend erscheinen Grenze zwischen Timmendorfer Strand und Scharbeutz) hätte Corona übrigens in diesem Fall nicht verhindert. Es war eine Frage der Zeit, bis Infektionen an Urlaubsorten auftreten. Es wäre gar wundersam (und wunderbar), wenn sich dies nicht wiederholt, ganz gleich ob an norddeutschen oder mediterranen Küsten. Aber ist das realistisch?

Schadenfreude, wie sie heute in den sozialen Netzwerken vereinzelt sichtbar wird, erscheint mir fehl am Platz. Viel wichtiger ist auf allen Ebenen der Aufbau von Kompetenz und Transparenz zum Thema Sicherheit und Hygiene, und zwar sowohl für Urlauber als auch Gastgeber. Niemand kann besser die Lage vor Ort einschätzen als Leistungsträger und Destinationen. Dieses Wissen gehört öffentlich geteilt. Auch so vermeiden wir Unsicherheit, lokalen Overtourism und schlimmstenfalls neue Infektionsherde.

Dass dennoch ein Gast in einem Hotel positiv auf Corona getestet wird, vermeiden wir damit wohl nicht. Auch das ist ein Teil der Wahrheit, die kommuniziert gehört. Eine gute Nachricht ist, dass in diesem Fall offenbar schnell Gegenmaßnahmen eingeleitet worden sind. Reden wir darüber.

2. Positive Kommunikation mit Affinität

Davon ausgehend, dass auch der Kunde weiß, dass vielen touristischen Anbietern das Wasser bis zum Hals steht, ist es nun höchste Zeit für neue und positive Nachrichten.

Der Kunde weiß viel zu wenig über die häufig ertragsfreien Überstunden in Reisebüros und bei Veranstaltern für Umbuchungen und Stornos. Das ist kostenfreier Kundenservice in Reinkultur, der gewürdigt wird, wenn er denn bekannt ist. Rumgesprochen hat sich leider nur, dass viele Mittler und Veranstalter aktuell kaum Einnahmen haben. Diese Nachricht allein ist traurig, hilft aber niemanden.

Der Kunde hat keine Kenntnis über die enormen kaufmännischen Risiken von Veranstaltern, Airlines und Incoming-Agenturen, um in diesem Sommer halbwegs verlässliche Flugverbindungen und Charterketten an beliebte Sonnenziele zu gewährleisten. Er weiß auch nicht, dass davon eben nicht nur die Anbieter selbst profitieren, sondern angeschlagene Volkswirtschaften primär im südlichen Teil der EU und hoffentlich auch bald wieder darüber hinaus. Denn jenseits des wiedergeöffneten EU-Raums ist bei den Gastgebern die Luft noch einmal deutlich dünner als hier. Tourismus bleibt ein fundamentaler Beitrag zur Nachhaltigkeit. Reden wir darüber.

Leider hat der Kunde auch bis heute nicht die Sinnhaftigkeit von Gutscheinen für stornierte Reisen verstanden, die nun freiwillig erlaubt sind (bzw. bleiben) und sogar abgesichert werden. Das Thema ist so komplex, dass es endlich auf einen klaren und fairen Nenner gebracht werden muss, den der Kunde auch versteht und annimmt. Wie wäre es hiermit?

Wer auf die rechtlich zulässige Barauszahlung seiner stornierten Reise für eine gewisse Zeit verzichtet, sichert Arbeitsplätze und Angebotsvielfalt. Er ist ein Unterstützer für fairen Tourismus.

Wer so freundlich ist, einen solchen Gutschein zu akzeptieren, tut unendlich viel Gutes. Und wer – vermutlich aus gutem Grund – ebenfalls Liquidität benötigt und dies ablehnt, gehört mit Respekt behandelt. Es kann nicht sein, dass Amtsgerichte und Schlichtungsstellen hier den Kundenservice übernehmen.

All das ist Kommunikation. Machen wir sie (noch) besser. Leidenschaft ist dabei auch erlaubt, aber bitte in konstruktiver Form.

Ich wünsche uns allen einen erfolgreichen und möglichst erholsamen Sommer. Bleiben wir gesund.

Anm: Das Geisterfoto zu diesem Beitrag habe ich am 14. Mai 2020 bei gutem Strandwetter in Sierksdorf an der Lübecker Bucht gemacht. Ein Privileg, dass im späten Lockdown vor gut 50 Tagen nur Anwohnern und Immobilien-Besitzern vorbehalten war. Binnen weniger Tage hat sich die geisterhafte Stille in eine an Sonnentagen bisweilen grenzwertig starke Auslastung gewandelt. Nichts davon ist gut. Wenig davon war vermeidbar.