Während die Touristik langsam die Potenziale von Agent Engine Optimization und KI-Agenten entdeckt, rollt aus den USA die nächste Welle an: Agentic Commerce. Künftig buchen Kunden direkt in der KI, ohne zu Suchmaschinen, touristischen Anbietern oder Reisebüros zu wechseln. Im Einzelhandel funktioniert das schon verdächtig gut. In der Touristik so gut wie gar nicht. Es ist eine Chance, sich darauf vorzubereiten.
Komprimiert
Das touristische Angebot in der künstlichen Intelligenz ist viel zu dünn. Die KI findet es nicht. Während ChatGPT gerade das voll-integrierte Agentic Commerce ausrollt, sind die touristischen Leistungsträger und Mittler nicht einmal mit ihrem Basisangebot in den Large Lange Models präsent. Abgesehen von einigen US-Konzernen. Für die Reisebranche bietet genau das enorme Chancen und Risiken.
Der dominierende Einfluss von Google in der Produktsuche ist unbestritten. Mit der künstlichen Intelligenz kommen jetzt kraftvolle Alternativen dazu. Agentic Commerce, die KI-basierte Produktsuche und die anschließende Buchung innerhalb der KI sind da. KI-Platzhirsch ChatGPT hat vergangene Woche einen neuen Standard vorgestellt. Und der funktioniert schon zur Premiere erschreckend gut. Zumindest in Amerika. Zumindest im Einzelhandel.
One-Stop-Shop heißt das Prinzip. Das kennen wir schon aus Pre-KI-Zeiten als erklärtes Ziel auch führender Reiseanbieter: Bitte, lieber Kunde, bleibe auf unserem Portal. Wir haben das komplette Angebot.
So verändert Agentic Commerce die Reisebuchung
Genau das sagt nun auch OpenAI. Der User muss die KI-Applikation nicht mehr verlassen, um ein Produkt zu buchen. Weder muss er einen Händler oder einen Mittler (wie ein OTA) besuchen, noch eine Anbieter-Plattform (wie ein Hotel oder ein Reiseveranstalter). Und er benötigt auch keine externe Hilfe von Google oder anderen Produktvergleichssystemen. Genau das ist seit einigen Tagen tatsächlich Realität.
Schauen wir es uns näher an:
ChatGPT hat zusammen mit dem Zahlungsdienstleister Stripe das Agentic Commerce Protocol etabliert. ChatGPT arbeitet ganz simpel als persönlicher KI-Agent des Users, teilt das Unternehmen mit. Man liste relevante und ungefilterte Produktempfehlungen, heißt es. Und auf Werbung verzichte man ebenfalls. Ein klarer Seitenhieb auf Google.
Das offene Agentic Commerce Protocol (ACP) ist erst wenige Tage auf dem Markt. Mit den US-Plattformen Etsy und Shopify kommen Pilotkunden, die im europäischen Markt eine eher geringe Relevanz haben. Offenbar ist der neue Standard künftig die zwingende Voraussetzung für Instant Checkout, die nahtlose Bezahlung (und damit Buchung) innerhalb von ChatGPT. Und das funktioniert auch nur für Händler, die mit Stripe kooperieren. Bislang zumindest.
Soweit sind wir in Europa noch nicht. Doch auch ohne ACP funktioniert die Produktsuche innerhalb von ChatGPT auch hierzulande immer besser. Suchen wir beispielsweise aktuell nach Angeboten für ein Smartcase des neuen iPhone 17 Pro, kann das Angebot durchaus mit etablierten Plattformen mithalten.

Ein erschreckend dünnes Angebot für Reisen in ChatGPT
Ganz anders ist die Lage, wenn wir in ChatGPT nach touristischen Angeboten suchen. Wir haben eine Reihe von Anfragen gestartet für die Klassiker im Reisegeschäft . Einen Business Trip zu einem geplanten Vortrag zu just diesem Thema beim Data Summit von Rheinland-Pfalz Tourismus in Mainz etwa. Das Ergebnis ist bemerkenswert schlecht:

Das Ergebnis ist immer wieder ähnlich. Es hat eine Reihe von gravierenden Schwachstellen.
- Reisepreise listet ChatGPT nur, wenn ein eindeutiger Promptbefehl eingegeben wird. Auch dann bleiben sie eher unverbindlich, denn:
- Vakanzen und Verfügbarkeiten bleiben, auch mit entsprechenden Prompts, weitgehend vage. Konkrete Buchungsanfragen auf touristische Systeme macht die KI bislang nicht. Dynamische Preise werden nicht abgebildet.
- Die geringe Auswahl ist das wohl größte Manko. ChatGPT macht sich nicht ansatzweise die Mühe, die Vielfalt des touristischen Markts nach Angeboten zu fragen. Hoteliers und andere Leistungsanbieter bleiben weitgehend außen vor. Angebote aus zentralen Reservierungssystemen, sei es für Flüge und andere EInzelleistungen oder für Pauschalreisen, sind ind der KI nicht erkennbar.
Dominiert wird das Angebot von jenen Online-Reisebüros, die vor zwei Jahren die damals exklusiven Plug-Ins entwickelt haben, die einen ansatzweise aktuellen Export ihres Angebots in die KI ermöglichen.
Angesichts der enormen Dynamik in diesem Markt ist das erstaunlich wenig. Fünf Monate sind eine kleine Ewigkeit im KI-Zeitalter. Und bei aller Dominanz, die Booking Holdings und Expedia im Online-Reisevertrieb haben, eine Produktart beherrschen die Weltmarktführer nicht:
Reisebüros spielen für die KI fast keine Rolle
Die Suchlogik für Pauschalreisen in ChatGPT ist besonders bemerkenswert. In Ermangelung von Schnittstellen geht die KI auf die Webseiten einiger Reiseveranstalter und listet unverbindliche Ab-Preise. Auf konkrete Reisezeiträume geht das System dabei kaum ein. Das wird besonders kritisch, wenn für die gewünschen Reisezeiten das Flugangebot dünner wird, wie etwa in den Herbstferien nach Bulgarien:

Die hier genannten Preise sind fiktiv und zu den gewünschten Zeiten allesamt nicht buchbar. Bemerkenswert ist, wie selten die KI für die Kompetenz von Reisebüros empfiehlt.
In seltenen Ausnahmen erwähnt ChatGPT zusätzlich zu den Veranstaltern Check24 und Holidaycheck als potenzielle Adressen für externe Suchen. Die Dienste stationärer Reisemittler werden nie empfohlen. Im Falle der hier gesuchten Bulgarien-Reise kommt ChatGPT mit einer überraschenden Empfehlung. Man möge die Suche doch bei L’Tur starten und auch bei Schauinsland und TUI schauen. Die Gründe für diese Empfehlung bleiben im Dunkeln.

Suchergebnisse wie diese erfüllen nicht den Anspruch der KI, in Zukunft One-Stop-Shopping anzubieten. Sie sind deshalb so schwach, weil die Large Language Models sichtlich Probleme haben, die komplexen Daten des Reisevertriebs zu erfassen und sauber zu analysieren. Es fehlt an Schnittstellen zu den Vertriebssystemen. Wer diese zuerst liefert, wird einen echten Wettbewerbsvorteil haben.
Sichtbar und nachvollziehbar werden Defizite, wer ChatGPT im professionellen Agent-Modus nach Reisen suchen lässt. Dann werden transparent die präferierten Reise-Webseiten durchgesucht. Wir können live verfolgen, wie die Maschine immer wieder an der für Menschen gemachten User Experience scheitert. Datumsfelder und Scrolllisten werden von der Technik nicht sauber gefunden und nicht sauber ausgefüllt. Menschliche Denkmuster, dass „mein Kind“ mit 18 Jahren als Erwachsener zu suchen ist, sind für die KI vollkommen unlogisch und alles andere als selbstlernend. Auch nach langen Suchprozessen werden die Ergebnisse nicht besser. Zurück bleiben enorme Serverlasten, auch auf Seiten der Anbieter, und frustrierte Urlaubssuchende. Das kann nicht die Lösung sein.
Drei Wege, um im Agentic Commerce vorn dabei zu sein
Tatsächlich gibt es aktuell mindestens drei verifizierte Wege, um schnell und potenziell bevorzugt mit dem eigenen Angebot in der KI gelistet zu werden.
- Die Plug-Ins (etwa von Expedia und Booking Holdings) hatten den Auftakt gemacht. Dies sind individuelle konfigurierte Schnittstellen zwischen der KI und ausgesuchten Anbietern. Bis Mai dieses Jahres war dies die einzige etablierte Verbindung zwischen externen Datenbanken und der KI. Und offenbar ist es immer noch die Einzige, mit der ChatGPT das touristische Angebot durchsucht. Das ist nicht gut, außer für Booking und Expedia.
- Das Modell Context Protocol (MCP) hat sich rasant schnell durchgesetzt und gilt seit seinem Launch im Mai bei allen relevanten KI-Plattformen (u. a. ChatGPT, Google Gemini, Claude) als die relevante Technologie für den Datenaustausch. MCP-Server sind relativ schlank und einfach programmierbar.
MCP-Server dienen der KI als Wegweiser für das zu erwartende Angebot auf externen Angeboten. Das Problem dabei: Auch diese Datenbanken sollten ähnlich performant sein wie die KI. Stukturierte Daten, bevorzugt nach Schema.org, sind ebenso ein Muss wie Antwortzeiten in Millisekunden. - Das Agentic Commerce Protocol (ACP) ist der neueste Standard von ChatGPT, der in ähnlicher Form vermutlich auch bald in anderen Large Language Models etabliert werden kann. Er ermöglicht erstmalig One-Stop-Shopping und integriertes Payment. Es ist anzunehmen, dass führende E-Commerce-Plattformen nun in Windeseile ACP realisieren. Ob und wann sich dies für mittelständische Anbieter lohnt, können wir derzeit noch nicht seriös beantworten.
Die oben gezeigten Beispiele für die Produktsuche sollten schleunigst besser werden. Der Ball liegt keinesfalls bei ChatGPT, sondern in der Touristik. Es bestehen wenig Zweifel, dass immer mehr Urlaubssuchende in Zukunft direkt in der KI ihre Reise planen und mutmaßlich auch buchen. Für Expedia und Booking Holdings dürfte das aktuelle Quasi-Oligopol (basierend auf zunehmend veralteter Technik) eine wahre Wonne sein. Für den Rest des Marktes könnte es, bei allem Respekt, zunehmend ein Wettbewerbsnachteil werden.
Wir können aktuell nicht pauschal sagen, ob und wann sich die Investition in ACP lohnt. Ganz anders ist die Situation bei MCP-Servern. Sie sind relativ schnell realisiert, wie das eher spielerisch etablierte Beispiel von Bayern Tourismus zeigt, das sich zu den absoluten Early Movers im deutschen Tourismus gemacht hat.
Andere Destinationen können und sollten schnell nachziehen. Mit dem Knowledge Graph der Deutschen Zentrale für Tourismus und den in vielen Bundesländern inzwischen gut gefüllten Data-Hubs nach dem Open-Data-Prinzip steht KI-konformer Content bereit, der jedoch über die vorhandenen Kanäle von der KI nur bedingt gefunden wird. Das gilt es zu ändern.
Für buchbaren Content und damit die breite Masse der kommerziellen touristischen Anbieter hingegen ist die Lage komplexer. Angebotsdatenbanken und Vertriebssysteme sind weder offen noch nach Schema.org strukturiert. Das verbietet allein die Komplexität des touristischen Produkts.
Dass Sichtbarkeit innerhalb der KI trotzdem funktioniert, zeigen aktuell Expedia und Booking Holdings. Gewiss bedarf es hier Übersetzungsebenen und einer guten Server-Infrastruktur, um die touristische Vielfalt innerhalb der KI gelistet zu bekommen. Diese Aufgabe den großen US-Konzernen zu überlassen, wäre aus europäischer Perspektive verheerend.
Fragen wir nicht nur die KI, wie wir das ändern können. Lasst uns reden.