Seit Jahren hat sich der Deutsche Verbraucherschutz auf die Zunft der Reisemittler und Reiseveranstalter eingeschossen. Traf die Klagewut der Kundenvertreter bislang primär Online-Reisebüros, so geht der Dachverband VZBV nun auch die stationären Reisebüros verbal an. Endlich regt sich Widerspruch. Denn mit seinem Verhalten schadet der Verbraucherschutz nicht nur der Reiseindustrie sondern letztendlich auch dem Verbraucher. Genau diese Botschaft muss rüberkommen.
Komprimiert
Verbraucherschutz und Reiseindustrie müssen nicht zwingend Freunde sein. Verstehen sollten sie sich aber schon. Da die Verbraucherschützer mit der Industrie offiziell aber nur vor Gericht im Dialog stehen, können sie weder die Komplexität noch die verbraucherfreundliche Arbeit von Reisebüros und Reiseveranstaltern umfänglich beurteilen. Die Verbraucherschützer benötigen dringend touristische Kompetenz und Dialogfähigkeit. Bevorzugt auf freiwilliger Basis.
Immerhin eines hat Felix Methmann, Touristik-Referent des einflussreichen Verbraucherzentralen-Bundesverbands VZBV geschafft: In Rekordzeit hat er die sonst nicht immer synchron marschierenden Reisebüro-Verbände DRV und ASR zum Schulterschluss gebracht. In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung hatte Methmann seine Sicht der Dinge zum neuen Pauschalreiserecht geschildert. Sollte ein Reisebüro, wie schon bislang üblich, Flug und Hotel separat in Rechnung stellen, „dann will sich das Reisebüro nur aus seinen Pflichten stehlen“, warnte Methmann.
Es ist nur eine von mehreren Ungereimtheiten in einem vertriebskritischen Interview, dass die VZBV-Touristiker auch in früheren Jahren gern rund um die ITB geben. Erstmalig richtet es sich jedoch explizit gegen stationäre Agenten. Dies ist ebenso ein Novum wie die Reaktion. „Eine Warnung vor vermeintlichen Praktiken von Reisebüros ist polemisch, entbehrt jeglicher Fachkenntnis und kann nur aus einer unternehmerfernen Ecke kommen“, sagt DRV-Vorstand Oliver Wulf. ASR-Präsident Jochen Szech erklärt das Statement für „sachlich falsch und vom Stil her unerträglich“.
Der Stil ist jedoch ebenso wenig neu wie das Maß an Sachlichkeit. Und all das ist auch kein Fehler eines Referenten, sondern eine langfristige Kampagne des VZBV, der schon zur ITB 2017 warnte, die Politik wolle die „Reisebüros zu Lasten der Verbraucher besser stellen„. Sauber hergeleitet ist dieser Vorwurf nicht, denn eine verbundene Reiseleistung (mit Insolvenzschutz) ist für den Verbraucher allemal besser als zwei Einzelleistungen ohne Insolvenzschutzn (wie eben bislang). Ob der VZBV dies schlichtweg nicht durchdrungen hat? Oder ob er gar gute Argumente beflissentlich ignoriert?
Beides wäre unbefriedigend für die Industrie, alles andere schwer vorstellbar. Vor allem aber wird der Schaden, den der VZBV und seine 16 Landesorganisationen in der deutschen Touristik anstellen, zunehmend groß. Ein paar Beispiele:
- Geringe Anzahlung minimiert Schnäppchen-Angebote
Seit einem BGH-Urteil gegen TUI, Thomas Cook und Urlaubstours im Dezember 2014 waren Reiseveranstalter angehalten, nicht mehr als 20 Prozent Anzahlung auf den Reisepreis zu nehmen. Das zerrt an der eigenen Liquidät. TUI konnte die Summe in einem zweiten BGH-Urteil auf bis zu 40 Prozent aufstocken, eben weil der Marktführer nachweisen konnte, dass 20 Prozent bei weitem nicht die getätigten Vorleistungen decken.
Doch auch 40 Prozent sind nicht üppig. Gerade für dynamisch produzierte Günstig-Urlaube bedienen sich Veranstalter jener Hotel- und Flugangebote, für die auch sie bis zu 100 Prozent Anzahlung leisten müssen, beispielsweise die Kombination eines Low-Cost-Fluges mit einem Hotelangebot eines internationalen Hotel-OTA. Derartige Günstig-Angebote, besonders attraktiv für einkommenschwächere Bevökerungsschichten, sind heute seltener als Veranstalter-Reise buchbar als noch vor zwei Jahren. Das ist nicht verbraucherfreundlich.
Interessanterweise sind derartige Angebote Dank des neuen Pauschalreiserechts bald denoch wieder mit Insolvenzschutz im Reisebüro buchbar: nämlich über jene neu gefundene Kategorie der verbundenen Reiseleistung, über die der VZBV nun ebenfalls herzieht. - Verbraucherschutz-Warnungen basieren nicht zwingend auf Fakten
Mahnende Worte gehören zum Selbstverständnis der Verbraucherschützer. So warnten die Verbraucherschützer im vergangenen Jahr in ihrem Marktwächter-Projekt vor Reiseversicherungen im Abo-Modell und damit dem Standardgeschäft im deutschen Reisevertrieb. „Wir raten Verbrauchern deshalb, bei der Reisebuchung vorsichtig zu sein und sich genau zu überlegen, welche Versicherungen ihnen wirklich wichtig sind“, heißt es da. Simple Begründung: Der Verbraucher wolle keine Vertragsverlängerung, obwohl just dies das Angebot ist. Und weshalb „Last-Minute-Reisen oft alles andere als ein Schnäppchen sind„, wie im gleichnamigen Text vom Herbst 2016 getitelt, wird dort nicht einmal ansatzweise hergeleitet. - Polit-Publikationen sind brandgefährlich
Gefährlich werden die Verbraucherschutz-Positionspapiere an die Politik, wo der Verbraucherschutze ein naturgemäß hohes Ansehen hat. Hier stehen bislang vor allem Online-Reisebüros am Pranger. So fordern der VZBV, übrigens in anderen Segmenten auch auf juristischem Weg, die Offenlegung der Provisionen der Mittler gegenüber dem Kunden. Und mit denkbar knapper Begründung wird sogar ein kriminelles Szenario aufgebaut. Leseprobe gefällig?Auch wenn sich die Kritik hier am E-Commerce ausrichtet, nimmt der Verbraucherschutz mit seiner Arbeit häufig auch den stationären Vertrieb mit in Sippenhaft. Buchungssysteme und Geschäftslogiken sind häufig gleich. Und deshalb trifft die wenig kompetente Kritik des VZBV trifft naturgemäß auch stationäre Mittler. „Buchungs- und Vergleichsportale bieten nicht immer einen günstigeren Preis als die Anbieter selbst an. Teilweise sind die Preise der Anbieter sogar erheblich günstiger“, heißt es im gleichen Papier. Sinn und Zweck dieser Aussage, die auch exakt umgekehrt und damit im Sinne der Mittler funktionieren würde, bleiben mir unklar.
Es ist die ordinäre Aufgabe des Verbraucherschutzes, sich für die Konsumenten einzusetzen. Häufig aber schießt er darüber hinaus und schafft mit Gerichtsurteilen einen Rechtsrahmen, der für den Verbraucher zum Nachteil ist Das muss nicht sein, wenn sich der Verbraucherschutz die Mühe machen würde, der Branche zuzuhören. Just das ist nicht vorgesehen in den Statuten der mir bekannten Verbraucherschutz-Organisationen. Und genau das ist das Problem. Wir brauchen einen praxisnahen Verbraucherschutz, der die Komplexitäten und Feinheiten des Reisevertriebs versteht. Wer auch immer die Größe oder notfalls auch die politische Kraft hat, hier einen Dialog zu ermöglichen: es wäre gewiss im Sinne des Verbrauchers. Und es ist überfällig.