Für weite Teile der globalen Tourismuswirtschaft ist die standardisierte Vernetzung von Datenbanken gelebtes Tagesgeschäft. Mit der Tourism Tech Alliance (TTA) kommt sie nun auch im Deutschland-Tourismus an. Das neue Vierer-Bündnis der deutschen Destinations-Datenbanken ist bislang ebenso wenig ein Angriff auf die Open-Data-Initiative der DZT und ihrer Partner (wie manche offenbar befürchten) noch die Plattform zur „Transformation des globalen Tourismusmarktes“ (wie es die TTA selbst beansprucht). Was die TTA wirklich ist:
Komprimiert
Der offene Datenaustausch kann nur über die effiziente Verbindung von Datenbanken im Hintergrund ein Erfolg werden. Dass Open Data allein über einen offenen Knowledge Graphen, freie Lizenzen und eine mit dem Rest der Tourismuswirtschaft kaum abgestimmte Kategorisierung funktionieren kann, war für viele Marktteilnehmer ein (zu) lange geglaubter Trugschluss. Denn nur, wenn wirklich alle relevanten touristischen Daten im Knowledge Graphen ankommen, kann Open Data ein Erfolg werden. Dafür braucht es Daten-Aggregation wie etwa über die neuen Konnektoren der TTA. Wer die Budgets für solche Tools nicht einkalkuliert hat, hat nun eine ernste Herausforderung.
Was bezweckt die TTA? Seit der Premiere der Travel Tech Alliance melden Tech-Consults wie unser Haus erhöhten Beratungsbedarf. Während die Tech-Szene des Deutschland-Tourismus auf den dezent verzögerten Launch des Knowledge Graphen der DZT sowie die dafür nowendige Kategorierung der Daten gemäß der Domain Specifications der Open Data Travel Alliance (ODTA) wartet, schaffen Neusta Destination Solutions, Land in Sicht, Infomax und Outdooractive nun ihre eigene Norm. Streng genommen geht es um ganz unterschiedliche Dinge, im Falle der TTA um standardisierte Schnittstellen. Das ist uneingeschränkt gut, auch wenn solche Angebote nicht gratis sind.
Schon wieder ein Standard? Eben nicht. Denn nur, was vom Markt breit akzeptiert ist, ist ein Standard. Davon sind aktuell sowohl ODTA als auch TTA weit entfernt. Die Kategorienbäume der ODTA für den Knowledge Graphen befinden sich im stetig veränderbaren Prelimary-Modus. Ein erster Release ist nicht vor Frühjahr 2023 zu erwarten. Die neuen Standard-Schnittstellen der TTA sind bei näherem Blick nur eine Vereinbarung zwischen vier großen Datenbanken-Systemen im deutschsprachgen Raum.
Mit Feratel fehlt ein ganz großer Mitbewerber, mit Venus WE2P und Join zwei dynamische Herausforderer, die die semantische Struktur des Knowledge Graphen ganz tief in ihre eigene Datenbankstruktur integriert haben. Ob und wann diese Unternehmen in die TTA folgen, ist offen. Für Partner aus anderen Branchensegmenten, von Leistungsträgern und Mittler über Reise-Portale bis hin zu Google, gilt dies umso mehr.
Der selbst verkündete Ziel der Travel Tech Alliance, „alle relevanten Unternehmen weltweit anzubinden um dem Endkunden das optimale Erlebnis zu ermöglichen“, klingt angesichts des eher kompakten Gründerteams ambitioniert. Ob TTA das Zeug hat, sich eines Tages mit wirklich relevanten Schnittstellenformaten etwa der Globalen Distributionssysteme, von Google oder des Deutschen Reise-Verbandes zu messen, wird sich zeigen.
Und überhaupt: Die Flut an Branchenspezifikationen für Schnittstellen (wie den neuen Konnektoren der TTA), Attributen (wie den Domain Specifications der ODTA) aber auch für Datenformate und Abfragelogiken ist ist so groß, dass es vermutlich niemals einen global akzeptierten Standard für den Tourismus geben kann und wird. Warum das so sein muss, erklären wir immer wieder gern. Was die Konsequenzen für die DMO in Deutschland sind, wird sich nun zeigen.
Was hat das für Folgen? Die Konnektoren der TTA werden Geld kosten. Die Geschäftsmodelle obliegen den vier Partnern, alles andere wäre kartellrechtlich anfechtbar. Es ist und bleibt also Verhandlungssache, wie Destinationen allen relevanten Content in ihre neuen open-data-fähigen Daten-Silos bekommen, die derzeit überall auf Landesebene entstehen.
Die DZT und viele Partner in den Bundesländern haben gelernt, dass Datenaggregation trotz offener Schnittstellen viel Geld kosten kann, obwohl Schnittstellenstandards wie XML längst etabliert sind. Damit sich Datenbanken verstehen, bedarf es klarer Spielregeln und eines gemeinsamen Sprachverständnisses. All das ist im Umfeld von Open Data im Aufbau, stößt jedoch immer wieder an Grenzen, sobald Datenpartner ihre etablierten Spezifikationen verwenden.
Bekommt Open Data jetzt ein Problem? Ja und nein. Wer schon bislang Datenaggregation zur Basis seines Daten-Hubs gemacht hat, für den können sich die Dinge mittels TTA-Konnektor erleichtern. Viele Landes-Marketing-Organisationen wissen, dass die Anbindung relevanter Datenbanken essentiell aber leider auch aufwändig ist. Sie haben dafür Budgets bereit gestellt.
Der Tourismus-Hub Hessen ist ein Parade-Beispiel dafür. Das modulare Datenbank-System verlässt sich weder im Import noch im Export von Daten auf Open Data, sondern sorgt mit konventionellen Schnittstellen dafür, dass wichtige touristische Daten in das System kommen und später auch dort ausgespielt werden können, wo der Knowledge Graph nicht landet: Bei Online-Reiseportalen etwa oder im Reisebüro. Für buchbare Leistungen gibt es mit dem Erlebnis-Hub in Hessen sogar eine eigene Datenbank, die Touren und Aktivitäten im Knowledge Graphen und in Google Travel ausspielen soll. Auch dafür bracht es intelligente Übersetzungsebenen, die etwas mehr können, als die Mappings der Destinationen. Sie müssen die Regeln des Reisvertriebs verstehen, inklusive Vakanzen, Rabatte und Reisekonditionen.
Wieso geht die TTA-Initiative ausgerechnet jetzt an den Start? Wir können hier nur mutmaßen. Denn tatsächlich stiften die Konnektoren den größten Nutzen, wenn sie die Sprache der Destinationen sprechen. Und die DMO haben sich darauf verständigt, ihre Informationen nach den Domain Specifications der ODTA auszuzeichen. Dass sich das neue Datenmodell der Destinationen verzögert, mag ein Dilemma sein. Darauf weiter zu warten, kann jedoch für die TTA-Partner keine adäquate Lösung sein. Denn der Bedarf nach einer effizienten Synchronisation von Datenbanken ist deutlich gestiegen. Die TTA-Konnektoren sind eine willkommene Lösung.
Was sollten DMO jetzt tun? Mit den (kostenpflichtigen) Konnektoren der TTA gibt es nun ein weiteres Modell der Datenanbindung. Es ist fallweise zu prüfen, ob die neuen Standard-Schnittstellen tatsächlich besser und günstiger sind, als eine individuelle Anbindung. DMO haben jetzt häufig eine zusätzliche Option.
Wer darauf vertraut hat, dass Open Data konventionelle Schnittstellen und Daten-Aggregation überflüssig macht, der hat ohnehin eine ernsthafte Herausforderung. Angemessene Budgets dafür sollten zeitnah eingeplant haben. Denn auch Open Data funktioniert nicht ohne Daten-Aggregation und die hierfür nötigen Schnittstellen und Regelwerke.
Update: (26. Oktober 2022, 16.18 Uhr):
Sie wollen mehr zu diesem Thema wissen? Mit einem detailreichen Blick hinter die Kulissen der Open Data Travel Alliance gibt Marcel Tischer, Leiter Digitalmarketing und E-Commerce der Tourismus-Marketing Brandenburg einen Einblick in die Anforderungen der Landes-Marketing-Organisationen an die Tourism Tech Alliance und andere Systemhäuser. Eine Leseempfehlung.