Steckt die Hotelbewertung in der Sinnkrise? Wird aus der viel zitierten „Weisheit der Masse“ angesichts der Flut austauschbarer Kundenstimmen eher ein Herdentrieb oder gar die „Dummheit der Lämmer“? „Die Revolution frisst ihre Kinder“, sagt Axel Jockwer, ehemaliger Marketing-Chef von Holidaycheck. Die Kritik daran war zu erwarten. Nun ist sie da. Dabei geht es niemanden darum, den Kunden zu entmündigen, sondern darum, ihn besser zu verstehen. Ein Überblick.
Komprimiert
Niemand sagt, dass Kundenbewertungen überflüssig werden. Die Weisheit der Masse ist auch in Zukunft gefragt. Aber wer bringt Weisheit in die Masse? In welcher Qualitat und Quantität werden User Reviews sinnvoll dargestellt. Eine intelligente und transparente Aufbereitung dieser Daten hat hohes Potenzial. Die automatisierte Generierung positiver Standard-Bewertungen eher nicht.
Es hat schon etwas, wenn ausgerechnet der ehemalige Marketing-Chef von Holidaycheck öffentlich über das Ende der Hotelbewertung sinniert. Axel Jockwer hat es getan. Und damit erreicht, was er wollte: Eine muntere und engagierte Debatte über Sinnhaftigkeit und Nutzen von User Reviews.
„Die Revolution frisst ihre Kinder. Vom Ende der Hotelbewertung“, lautet der Titel eines Vortrags, den Jockwer zuletzt auf dem Kongress Destination Meets Online in Andalusien gehalten hat. Vor zwölf Jahren heuerte Jockwer als einer der ersten Angestellten bei Holidaycheck an. Er hatte maßgeblichen Anteil daran, dass das Thema Hotelbewertungen so eine wichtige Rolle auch in der deutschen Touristik gespielt hat.
Holidaycheck war zwar nicht der Erfinder der Hotelbewertungen, aber eben der Vorreiter im deutschen Markt. Das hat sich relativiert. Heute teilt sich Holidaycheck das Geschäft mit quasi zahllosen globalen und nationalen OTA, Reise-Veranstaltern, Hotelketten und Technologie-Providern.
Kaum ein Touristikunternehmen lässt es sich nehmen, den Gast a. nach seiner Meinung und b. nach möglichen Insidertipps zu fragen. Globale Konzerne haben die Nase vorn. Google etwa mit seinem Local-Guide-Programm. Oder Booking.com, dass seine Kunden seit geraumer Zeit nicht nur um Reviews für das gebuchte Hotel bittet sondern auch um Insidertipps für das besuchte Zielgebiet. Rund 3,6 Mill. „Reisegurus“ (sprich: Kunden) haben für Booking.com bislang nach eigenem Bekunden Reisetipps geschrieben. In Summe ist das ein gigantischer Fundus an Wissen. Aber im Einzelnen?
Jockwer stört sich an der schieren Quantität der Hotelbewertungen. Und an der zunehmenden Austauchbarkeit von Positiv-Bewertungen, wie etwa diesen hier.
Die Hotelbewertung sei ein Basismerkmal im Online-Vertrieb geworden, sagt Jockwer. Es gebe eine Flut von Daten mit ungeklärter Herkunft und fragwürdigen Aussagen. Allein der Verriss einer Anlage biete auf Anhieb noch einen klaren Nutzen.
Nun regen sich Gegenstimmen. „Es kann nie genug Hotelbewertungen geben,“ schreibt Oliver Rengelshausen, Geschäftsführer von Traveltainment im Deutschland-Blog des Mutterkonzerns Amadeus als Replik an Jockwer. Auch Traveltainment sammelt fleißig User Reviews, verteilt sie an die Nutzer seiner Internet Booking Engines. Die Rücklaufquoten seien blendend, schreibt Rengelshausen. Mehr als 20 Prozent der Kunden würden zwischen fünf und fünfzehn Minuten für das Ausfüllen des ausführlichen Fragebogens verwenden. Das ist beachtlich.
Spätestens jetzt ist es hilfreich, sich ausführlicher mit den Thesen Jockwers auseinanderzusetzen. Jockwer predigt nämlich nicht das Ende der Hotelbewertungen. Sondern seine mitunter stumpfe Katalogisierung. „Hotelbewertungen sind Teil des Establishments geworden“, sagt er. Die einstige Revolution sei beendet. Und zwar, seit Google, Traveltainment, vor allem aber die Hotellerie selbst aktiv und vehement Bewertungen einfordern.
Jockwer nennt das nun „Einheitsbrei“. Immerhin die Hotellerie applaudiert. IHA-Geschäftsführer Markus Luthe spricht von „grotesk positiven Durchschnittsbewertungen„. Zweifel am Durchbruch der Weisheit der Massen seien erlaubt, schreibt er. Aber stimmt das?
Ich glaube nicht. Gewiss führen konsequent positiv geführte Hotelprofile dazu, dass sich die Gäste schwer tun, öffentlich in den Kritikmodus abzudriften. Die Massen sind nicht zwingend weise. Sie neigen zum Herdentrieb. Doh der Kunde ist aufgeklärt genug, um etwaige Fluten an positiven Bewertungen in ihre Buchungsentscheidung einzuordnen – oder eben auch nicht. Was wirklich zählt, sind klare und authentische Aussagen, Empfehlungen aus dem persönlichen Umfeld oder eben auch klare, negative Bewertungen, die in deutlichen Minderheiten unterwegs sind, dass sie eben bei Veröffentlichung um so relevanter werden.
Die Touristik tut gut daran, sich um die intelligente Darstellung der User Reviews Gedanken zu machen. Es geht um die maßgeschneiderte und transparente Aufbereitung der Massen-Weisheit, adaptiert auf die Bedürfnisse des individuellen Kunden. Das mag man Big Data nennen, Semantik und Usability, vielleicht sogar künstliche Intelligenz. Und all das ist nicht neu.
Ein Spezialist für die derartige Aufbereitung von Bewertungen ist das Münchner Unternehmen Trustyou, dass sich selbst als weltweit größte Gäste-Feedback-Plattform bezeichnet. Trustyou verwaltet und gewichtet Millionen von Reviews sowohl von externen Partner als auch selbst generiert. Diese Ergebnisse verkauft sie an Hotels und Mittler.
Vor einigen Tagen hat der japanische IT- und Medienkonzern Recruit Holding Trustyou übernommen. Gründer und CEO Benjamin Jost bleibt vorerst an Bord. „Wir glauben, dass Bewertungs- und Analysetechnologie von Trustyou für uns die Grundlage ist, um die nächste Stufe des Online-Reisevertriebs zu erobern“, erklären die Japaner.
Wenn es um die Weisheit der Masse geht, dann mangelt es an Weisheit, nicht an Masse. Folglich profitieren an den Kapitalmärkten aktuell nicht Bewertungsportale sondern Technologie-Spezialisten, die Weisheit in die Masse bringen.