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Der letzte Unister-Skandal: Die „Ines“ muss sich verantworten

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Am Montag wird das Landgericht Leipzig sein Urteil im „Fall Unister“ sprechen. Gut fünf Jahre nach Beginn der Ermittlungen endet damit ein  bizarres Kapital sächsischer Justizgeschichte. Unabhängig vom Urteil muss sich auch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden für dieses Verfahren verantworten. Und das aus guten Gründen:

Komprimiert

Die Sonderkommission „Ines“ trägt eine Mitschuld am Niedergang der Unister Group. Sie hat überschießend und einseitig ermittelt. Ihre öffentlichkeitswirksame Arbeit hat Unister den Spielraum für Expansion und die Suche nach Investoren genommen.  Auch lässt die Generalstaatsanwaltschaft bis zu ihrem Schlussplädoyer elementare Grundregeln im globalen Reisevertrieb außer Acht. Das muss Konsequenzen haben.

Viel Kritisches ist geschrieben worden über das Geschäftsgebaren jenes Unternehmens, dessen Kommunikationschef ich einst war. Ein Teil davon vielleicht zu Recht. Aber eben nur ein Teil. Meine Mission bei Unister blieb unvollendet. Sie hätte vielleicht in diesen Tagen ihren Höhepunkt haben können. Denn Unister-Chef Thomas Wagner, ein großartiges Anwaltsteam und auch ich waren stets von der Unschuld der Angeklagten im Sinne der Anklage überzeugt.

Ich kann allenfalls erahnen, welches Urteil das Landgericht Leipzig am kommenden Montag sprechen wird. Ich beschäftige mich beruflich mit anderen Themen, habe die Verhandlungen nicht verfolgt, habe auch keine Mandate bei Unister oder seinen Nachfolgeunternehmen. Aber ich habe aufmerksam gelesen, was der leitende Staatsanwalt Dr. Dirk Reuter am Dienstag in seinem Schlussplädoyer gesagt hat. Und es irritiert mich sehr, dass so eine Argumentationslinie am 39. Verhandlungstages dieses wahrhaft einzigartigen Gerichtsdramas möglich ist.

Den von Dr. Reuter dort offenbar beschriebenen „beratungsresistenten“ Firmengründer Thomas Wagner, dem „Juristen ein Hindernis“ waren, habe ich ich in meinen zwei Unister-Jahren nicht kennengelernt. Ich kenne einen Unister-Chef, der zusätzlich zu seinen Hausjuristen in besten Zeiten ein fast 20-köpfiges Compliance-Team beschäftigte, der Vorreiter im Datenschutz und in der aufwändigen PCI-Zertifizierung als Zahlungsdienstleister war. Vor allem aber: Thomas Wagner ist kein Bestandteil dieses Verfahrens mehr. Leider.

Am Montag der Ort der Urteilsverkündung im „Fall Unister“. Landgericht_Leipzig. Foto: Foto: Wikimedia Commons / L.E. rewi-sor

Zur Sache forderte Dr. Reuter eine moderate Bewährungsstrafe gegen den Gesellschafter und Finanzchef Daniel K. und eine zweieinhalbjährige Haftstrafe gegen den früheren Leiter der Flugportale Holger F, der in der Hierarchie klar unter K. stand. Erklärung: „Er hat Wagner und Kirchhof erklärt, wie das Runterbuchen geht“, so die LVZ über Dr. Reuter.

Sinngemäß bin ich dann wohl auch schuldig, und Dr. Reuter vielleicht auch. Denn ich habe mir im Sommer in diesem Blog die Mühe gemacht, seine Anklage zu einem „Lehrbuch des Runterbuchens“ zu verdichten. In der Anklage beschrieb der Staatsanwalt mustergültig, wie die Ticketoptimierung weltweit funktioniert. Allein, weshalb die so im besten kaufmännische Sinne erzielten Einkaufsvorteile eine Straftat sein soll, bleibt offen. Ich habe die mit viel Zivilrecht gefüllte Anklage versucht zu verstehen. Es ist mir nicht möglich.

Seit Verlesung der Anklage haben namhafte Touristiker dem Gericht erklärt, was es mit dem Runterbuchen auf sich hat. Wenn das bier angeklagte Runterbuchen eine Straftat ist, dann bekäme die globale Branche ein Problem. Soweit wird es hoffentlich nicht kommen. Dass Dr. Reuter trotz aller vorgetragenen Argumente in seinem Schlussplädoyer offenbar nicht von seiner Ursprungsmeinung abweicht, ist ein weiteres Zeichen, wie einseitig und verbissen  gegen Unister ermittelt wird.

Dr. Reuter und die „Ines“ tragen eine Hauptschuld am Unister-Drama

Und da sind wir beim eigentlichen Punkt: Was haben die fünfjährigen massiven Ermittlungen von Dr. Reuter und seiner Sonderkommission „Ines“ gebracht? Eine Bilanz:

  1. Zwei Ex-Manager von Unister sind angeklagt. Maximal werden zweieinhalb Jahre Haft gefordert. Ermittelt wurde aber gegen 80 Unister-Mitarbeiter und auch über das Unternehmen hinaus. Dahinter stecken rund 100 persönliche Schicksale, die sich erst nach langem Bangen und viel juristischer Beratung wieder als unschuldig fühlen dürfen, wenngleich sie es aus meiner Sicht immer waren.
  2. Unister ist insolvent. Daran tragen Dr. Reuter und seine „Ines“ zumindest eine Teilschuld. Denn Wagner & Co hatten es 2011 mit Eigenmitteln zum Online-Marktführer im deutschen Reisevertrieb gesbracht und sich einen sportlichen (ja, vielleicht zu sportlichen) Expansionskurs aufgelegt: Neue Aktivitäten in Großbritannien, Benelux, USA und Südeuropa waren gegründet, der Hotelneubau der Beteiligung Travel24 angestoßen und die Immobilie für die neue Firmenzentrale am Opernpark gekauft.
    All das kann man nicht einfach rückgängig machen, wenn kurzfristig die Kreditlinien einbrechen, Geschäftspartner die Zusammenarbeit einstellen und nahe Investoren in weite Ferne rücken. Das passierte weil…
  3. Die Untersuchungshaft war der Anfang vom Ende. Dass Thomas Wagner und Daniel K. hinter Gitter mussten, hat die beiden Gesellschafter nicht nur persönlich belastet und offenbar auch entzweit, sondern Ihnen gerade in der Finanzwelt viel Reputation gekostet. Wer investiert schon ohne massive Abschläge in ein Unternehmen, dessen Gründer einer Anklage mit unbekannten Ausgang entgegen sehen und die schon einmal im Gefängnis saßen?
  4. Die Arbeit der Justiz wurde medial befeuert. Die Durchsuchungen der Firmenzentrale wurden von Kamerateams festgehalten. Und einige Aussagen der Generalstaatsanwaltschaft Dresden waren schlichtweg falsch: etwa, dass „Kundendaten millionenfach verkauft wurden“ oder dass die „Ines“ den „Algorithmus für die Streichpreise gefunden habe„. Jener Anklagepunkt wurde vom Landgericht schon im Zwischenverfahren kassiert. Reputation hat es dennoch gekostet.
  5. Die Ermittlungen und die Zulassung der Anklage haben sehr lange gedauert. Mehr als vier Jahr lagen zwischen der ersten Durchsuchung und dem Prozessbeginn. Zu lange für Thomas Wagner, der stets dafür gebrannt hat, sich ordentlich zu verteidigen. Am Tag vor seiner spektakulären letzten Reise nach Venedig etwa arbeitete er filigran an neuen Beweisen gegen den Vorwurf des Steuerbetrugs. Ee ist eines jener Mosaikstückchen, die nun vor Gericht gefehlt haben mögen. Das ist wiederum kein typisches Verhalten für jemanden, der (wie kolportiert wurde) angeblich mit letzter Kraft über einen windigen Deal die Insolvenz abwenden will. Aber das ist ein ganz anderes Thema. Auch der Vorwurf der Steuerhinterziehung spielt vor Gericht nun keine tragende Rolle mehr. Denn es geht nun vorrangig um…
  6. Runterbuchen: Die Reisebranche hat ein Problem. Sollte sich die Auffassung von Dr. Reuter durchsetzen, Reisemittler wären über einen fiktiven Vertrag geradezu verpflichtet, sämtliche Tarifoptimierungen an ihre Kunden auszuzahlen, dann hätte dies massive Folgen für das globale Airline-Geschäft, in dem zwischen Buchungsanfrage und Ticketausstellung stets eine Frist bleibt. Ja, solche Einkaufsvorteile kommen vor. Sie sind Teil des Systems. Und sie schaden niemanden.

Dr. Reuter und seine Sonderkommission haben Unister, seinen Gründern, seinen ehemaligen Mitarbeitern aber auch dem WirtschaftsstandortSachsen Schaden zugefügt. Die maximale Forderung einer zweijährigen Bewährungssstrafe und einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe ist für sich genommen für mein Rechtsempfinden zu hoch gegriffen, steht andererseits aber in keinem Verhältnis zu dem massiven Aufwand, den die Sonderkommission „Ines“ betrieben hat. Jener Schaden ist fiktiv um so genannte Amtshaftungsansprüche zu ergänzen, die Thomas Wagner vom Freistaat Sachsen in zweistelliger Millionenhöhe eingefordert hätte, wäre er noch in diesem Verfahren beteiligt.

Diese Amtshaftungs-Forderungen liegen nun irgendwo in der Insolvenzmasse. Der Schatz mag für die Gläubiger und Gesellschafter dauerhaft verborgen bleiben, was gut für die öffentliche Kasse ist. Aber auch das sollte nachdenklich stimmen. Ebenso die durch Aktenvermerk zu beweisende Bitte von Dr. Reuter an die Finanzaufsicht Bafin, einen so genannten Anhörungsbescheid zum umstrittenen Produkt Flexifly vorerst zurückzuhalten:

Flexifly war jenes Produkt, das nach Ansicht der Dresdner Staatsanwälte eine Versicherung sein soll. Es ist somit die Basis sowohl der angeblichen unerlaubten Versicherungsgeschäfte als auch des darauf aufbauenden theoretischen Steuerbetruges und damit der ersten Anklage. Eben weil die Bafin ihren Bescheid erst zur Durchsuchung zustellte, schwoll der errechnete Steuerschaden im Herbst 2012 auf über eine Million Euro an. Das ermöglichte den Gang zur Haftrichterin. „Das wäre ein Justizskandal„, sagte der Leipziger Jura-Professor Desens im Vorjahr. Diese Fakten liegen inzwischen als Gutachten vor.

Dem ist wenig hinzuzufügen.

Online-Petition: Die „Ines“ muss sich verantworten

Das Vorgehen der „Ines“ im „Fall Unister“ gehört aufgearbeitet. Ein parlamentarischer Untersuchungsaussschuß im Sächsischen Landtag erscheint einem kleinen Kreis früherer UNISTER-Mitarbeiter innerhalb Sachsens ein transparenter und effektiver Weg der Erklärung. In Sachen „Runterbuchen“ kann im Falle einer Verurteilung der Bundesgerichtshof jene Dinge gerade rücken, die der Freistaat Sachsen nicht aus eigener Kraft hat heilen konnte. All das ist dringend geboten.

Die frisch gestartete Online-Petition für die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses gegen die Sonderkommission „Ines“ / Unister im Sächsischen Landtag freut sich auf Ihre Stimme. Gerne auch weitersagen. Die Meinungsvielfalt der Unterzeichner hier ist über die Kommentarfunktion gewährleistet und bereits jetzt absolut lesenswert.

 

Disclaimer:
Der Autor war von Dezember 2014 bis Oktober 2016 für die Kommunikation von UNISTER Travel und von Juli 2015 bis zur Insolvenz auch für jene der UNISTER Holding zuständig. Er beschäftigte sich intensiv mit der Vorbereitung des Strafverfahrens, aus dessen Verfahrensbeteiligung UNISTER im Zuge der Insolvenz ausgestiegen ist. Die hier genannten Fakten stammen aus öffentlichen Quellen. Meine Meinung, Herleitungen und Interpretationen sind allein privater Natur und im gefühlten Konsens mit dem früheren UNISTER-Chef Thomas Wagner, mit dem der Autor zu kurz aber sehr gut, intensiv und gegenseitig respektvoll zusammen gearbeitet hat. Der Autor verfolgt mit diesem Text keine wirtschaftlichen Interessen.