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Die sonnige Seite der Nachhaltigkeit

Was meinen wir eigentlich mit Nachhaltigkeit? Mit Verve und beachtlicher Demut disktutiert die Tourismusbranche in diesem Jahr die Auswirkungen des Klimawandels auf das Reisegeschäft. Dabei stellt sie sich häufig auch selbst an den Pranger. Ein Plädoyer für die nachhaltig positiven Effekte des Reisens.

Komprimiert

Nachhaltigkeit ist mehr als CO2-Emissionen und Overtourism. Auf viele globale Nachhaltigkeitsziele zählt der Tourismus positiv ein. Es hat einen Grund, dass kaum ein Klimaschützer das Reisen generell verurteilt. Es wäre segensreich für die Tourismuswirtschaft, wenn diese Gründe fundiert aufbereitet und präsent sind.

Die touristische Hochsaison läuft auf vollen Touren. Wie die Bilanz ausfällt, können wir nur erahnen. Ein paar Dinge sind klar: Während die Flug-Pauschalreise schwächelt, streben erdgebundene Reiseziele auch ohne Rekord-Sommer einem Rekordjahr entgegen. Wie durch Zauberhand zieht sich der „Flygskam“ von Friday-For-Future-Aktivitistin Greta Thunberg durch Europa. Noch sind die langfristigen Auswirkungen auf den Flugverkehr schwer meßbar. Doch der Bahnverkehr boomt, nicht nur in Schweden. Politik und Gesellschaft diskutieren über die Folgen des Klimawandels und des vor allem urban geprägten Overtourism.

Es mag eines dieser drei Buzzwords aus dem ersten Absatz sein, die das Wort des Jahres 2019 unter sich ausmachen. Sie basieren auf realen und meßbaren Effekten, sie beschäftigen uns alle und sie schreien nach Aktion und Veränderung. Mein Fazit nach einer Reihe intensiver Diskussionen etwa bei den Eichstätter Tourismusgesprächen und beim Travel Industry Club und einer Reihe interner Strategie-Workshops: Die Tourismusbranche ist überreif für Veränderungen.

Wieso sind wir überreif?

Es ist bachtlich, in welch tiefer Selbstreflektion, teilweise Demut, derzeit insbesondere Reiseveranstalter und Airlines in interner Runde die Nachhaltigkeit ihrer Produkte hinterfragen. Zwischen Rechtfertigung und Zukunftsangst kommt zunehmend der aufrechte Wunsch auf, gezielt Veränderungen zu erzielen. Die Erkenntnis, in den vergangenen Jahren zu eng auf etablierte Angebotsformen gesetzt zu haben ist allgegenwärtig.

Das wohl prägnanteste sichtbare Beispiel für eine radikale Gegenreaktion derzeit liefert aktuell die niederländische Airline KLM, die in ihrer neuen Fly-Responspibly-Kamagne bemerkenswert plakativ nachhaltige Flug-Alternativen wie Bahnfahren, Reisevermeidung und Telefonkonferenzen bewirbt und damit ihr eigenes Kernprodukt medial in Frage stellt.

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Aktueller KLM-Werbespot: Könnte man alternativ den Zug benutzen?

Es ist vermutlich nicht nur reiner Großmut, der KLM zu einer solchen Heldentat veranlasst. Im kommenden Jahr kommt in den den Niederlanden die Flugsteuer. Nachhaltigkeit ist damit quasi gesetzlich verordnet. Bemerkenswert dabei: Die viel beachtete holländische Flugsteuer hat ein wohl bekanntes Vorbild: die 2011 in Deutschland etablierte Luftverkehrsabgabe.

Selbst deutsche Touristiker vergessen gern einmal, dass das Flugticket in Deutschland längst eine Klima-Kompensation bietet, die sehr wohl dazu geneigt ist, den allgegenwärtigen „Flugscham“ zumindest zu lindern. Im Marketing wird diese Abgabe zumeist schamhaft verschwiegen. Ob die heute von Bundesumweltministerin Schulze vorgeschlagene Aufstockung der nationalen Abgabe die globalen Klimaziele näher bringt, ist eine andere Frage.

Was manche Touristiker vergessen

Es gibt einiges mehr, was in der aktuellen Debatte um Nachhaltigkeit des Reisens in Vergessenheit gerät. Wissend, dass jede Form von Mobilität geneigt ist, den Klimawandel zu beschleunigen, hier ein paar wichtige Standpunkte, die Selbstbewusstsein vermitteln sollten.

  • Der Flugverkehr macht nur drei Prozent der globalen CO2-Emissonen aus.

Drei Prozent sind sehr wohl eine relevante Größe. Aber es sind andere Wirtschaftszweige, die deutlich klimaschädlicher sind. Allen voran sind es die Industrie und die Energiewirtschaft, die als Klimakiller herhalten. Und tatsächlich ist es auch der Transportsektor, allerdings dominiert vom Straßenverkehr und der Logistik.

  • Overtourism ist ein lokales Luxusproblem

Mit Touristen überfüllte Straßen, Strände, Häfen, Attraktionen – was früher gemeinhin als lokaler Glücksfall angesehen wurde, gilt seit geraumer Zeit als Overtourism. Keine Frage: die Zahl der Touristen ist insbesondere in vielen Großstädten eine Belastung, die das soziale Gleichgewicht gefährden. Und das Problem wird größer mit dem prognostizierten Anstieg der globalen Reiseströme.

Allerdings: Overtourism ist eine lokale Herausforderung, von der die lokale Wirtschaft profitiert. Die Lenkung von Besucherströmen ist eine zentrale Aufgabe von Kommunen, angefangen von öffentlichen Abgaben über eine intelligente Verkehrslenkung und Investionen in die Infrastruktur bis hin zum simplen Yield Management, dem Grund-Handwerkszeug eines Touristikers.

Eine beachtenswerte Studie des WTTC attestiert nur wenigen globalen Metropole wie Barcelona und Amsterdam echte Probleme des Overtourism. Anderen Städte (z. B. München) sieht die WTTC in einer ausgewogene Dynamik oder als „reife Performer“, in denen die knappe Infrastruktur das Besucherwachstum quasi automatisch mindert. In diese Kategorie zählt die WTTC auch Berlin.

Die Methodik der WTTC ist deshalb bemerkenswert, weil sie das Gästevolumen in die touristische Traditiot und die touristischen Kapazitäten der jeweiligen Städte einordnet. Und sie kümmert sich nicht um klassische Urlaubsziele, die primär vom Tourismus leben und somit ein natürliches Grundinteresse an touristischem Wachstum haben sollten. Ich finde diese Methodik gut und richtig.

  • Nachhaltigkeit ist so viel mehr als Treibhausgase und Overtourism

Kommen wir zum Kernthema: Der Tourismus diskutiert das Thema Nachhaltigkeit bemerkenswert fokussiert auf jene Themen, in der Tourismus sehr schlecht weg kommt. Tatsächlich gibt es keine kompakte, feste Definition von Nachhaltigkeit. Der Begriff ist vielfältig und facettenreich etabliert. Fakt aber ist, das Thema ist deutlich breiter als über den Kontext der Reisevermeidung.

2015 haben die Vereinten Nationen insgesamt 17 Ziele der Nachhaltigkeit definiert. Diese 17 Sustainable Development Goals (SDG) sind keine Worthülsen, sondern werden global gemessen. Sie sind die Ziel-Indikatoren zahlreicher internationaler Vereinbarungen. Der Tourismus zahlt auf die Mehrheit dieser Ziele bemerkenswert positiv ein:

Die Sustainable-Development-Goals der Vereinten Nationen: Armut, Gesundheit, Bidung, Menschenwürdige Arbeit, Leben unter Wasser und am Land, Frieden, Partnerschaften: Es gibt nur wenige Nachhaltigkeitsziele, auf die der Tourismus nicht einzahlen kann und es bereits tut.

Es ist an der Zeit, die Effekte des Tourismus im Sinne dieser SDG eingänglich zu untersuchen. Schon jetzt wird der Tourismus generell auch von Klimaschützern selten bis nie in Frage gestellt wird, allem „Flygskam“ zum Trotz. Nachhaltigkeit ist tatsächlich eine Chance für die Touristik. Ergreifen wir sie nachhaltig.